Kampf um Zukunft der PCK Raffinerie in Schwedt: „Auch nach drei Jahren keine Vision“

Drei Jahre nach dem berühmten Habeck-Handschlag bangen die PCK-Mitarbeiter in Schwedt noch immer um ihre Zukunft. Das Vertrauen in die Politik scheinen sie verloren zu haben.
Welche Hoffnung setzen die Menschen noch in die Politik? Man fragt sich das, als man am vergangenen Mittwochnachmittag rund 2000 Raffinerie-Mitarbeiter und Bürger der Stadt Schwedt auf dem zentralen Platz der Befreiung stehen sieht. In ihren grün-orangenen Arbeitsanzügen, mit ihren PCK-Fahnen („Wir bewegen Berlin und Brandenburg!“) und BSW-Plakaten. Seltsam lethargisch wirken sie. Keine Musik, keine Parolen, keine Wut. Als würde ein schwerer Mantel auf ihren Schultern liegen. Verhaltenes Lachen an den Bier- und Bratwurstständen. Dabei geht es um so viel.
Die PCK Raffinerie bangt um ihre Zukunft. Und mit ihr die Mitarbeiter, die Einwohner der Stadt und im Grunde die ganze Region. Alles hier hängt am Werk, an den guten Löhnen. Die Raffinerie ist der Leuchtturm der Uckermark, ihr größter Arbeitgeber. Sie versorgt ganz Ostdeutschland und auch die Hauptstadt mit Sprit, Heizöl und Kerosin. Und das nun schon seit mehr als 850 Tagen ohne russisches Öl. Das ist der Knackpunkt.
Ende 2022 hatte die Bundesregierung entschieden, künftig auf Öl aus Russland zu verzichten. Wegen des Krieges in der Ukraine. Das Embargo ging über die Sanktionspläne der EU hinaus. Eigentlich sollten nur Öllieferungen über den Seeweg verboten werden. Doch die Bundesregierung wollte den Druck auf Moskau weiter erhöhen, verbot Lieferungen auch über Land. Die Druschba-Pipeline, durch die täglich Tausende Tonnen Öl von Sibirien nach Schwedt geflossen waren, wurde abgedreht. Für die kleine Stadt Schwedt an der deutsch-polnischen Grenze, hoch im Norden Brandenburgs, begann eine Zeit der Ungewissheit.

Anfang dieses Jahres schlug der Betriebsrat Alarm. Das Werk sei nur noch zu 80 Prozent ausgelastet, mache Verluste, sagte der Vorsitzende Danny Ruthenburg. Einstellungsstopp, drohender Stellenabbau. 300 bis 400 Jobs könnten wegfallen, ein Viertel der Belegschaft. Und auf jeden der PCK-Mitarbeiter kämen dreimal so viele bei den Partnerfirmen. Dort gebe es bereits Entlassungen.
Die Schwedter hatten das kommen sehen, schon vor drei Jahren. Die Raffinerie war auf das schwere russische Ural-Öl ausgelegt. Mehr als 60 Jahre hing sie an der Druschba wie an einer Nabelschnur. Jetzt muss sie Rohöl aus 30 Ländern verarbeiten, aus Indien, Saudi-Arabien, Kasachstan. Geliefert per Schiff über die Weltmeere nach Rostock und Danzig und von dort weiter nach Schwedt. Das kostet. Und belastet die Produktion, verschleißt die Anlagen, erhöht die Emissionen. Das Landesumweltamt musste PCK zuletzt sogar Ausnahmegenehmigungen bei den Schadstoffwerten erteilen, damit die Raffinerie überhaupt weiterarbeiten kann.
Schon vor drei Jahren protestierten die Schwedter. Warnten vor den Folgen des Embargos. Pfiffen Wirtschaftsminister Robert Habeck aus, rangen ihm einen Handschlag für seine Versprechen ab. Viel Geld, eine Beschäftigungsgarantie und der Ausbau der Pipeline vom Rostocker Hafen wurde Schwedt in Aussicht gestellt. Und auch wenn bis heute niemand bei PCK entlassen wurde, herrscht dennoch in der Stadt die Auffassung: Hat allet nischt genützt. Noch immer warten sie hier auf den Ausbau der Pipeline. Es fehlt die Genehmigung aus Brüssel.
Deswegen stehen sie heute wieder hier. Und warten auf den Landesvater. Dietmar Woidke verspätet sich. Die Demo-Band hat schon gespielt, jetzt stehen alle etwas unschlüssig herum. Rechts der Bühne wartet Danny Ruthenburg, der Betriebsratsvorsitzende. Ein hochgewachsener Mann, mit freundlichen, blauen Augen und weicher Stimme. Nicht gerade der typische Klassenkämpfer. Und doch so etwas wie der inoffizielle Sprecher der Raffinerie. Wenn klare Worte aus dem Werk kommen, dann von ihm. Vor Ruthenburg ein bisschen Brandenburg-Prominenz. Der Wirtschaftsminister Daniel Keller, die Bürgermeisterin von Schwedt, Annekathrin Hoppe, ein ehemaliger Bundestagsabgeordneter von der CDU. Alle drei im Sakko. Ruthenburg trägt seinen grün-orangen PCK-Anzug.
Warum so ruhig heute, Herr Ruthenburg? Vielleicht, sagt er, weil Rosneft, der Mehrheitseigner der Raffinerie, mehr Öl aus Kasachstan besorgt habe. Je 200.000 Tonnen für Mai und Juni. Fast doppelt so viel als in den Monaten zuvor. „Damit kommen wir auf etwa 87 Prozent Auslastung.“ Ab 85 Prozent sei das Werk wirtschaftlich tragfähig. Die Not ist nicht mehr ganz so groß. Zumindest für den Moment.

Sicherheit für die Beschäftigten sieht trotzdem anders aus. Niemand weiß, ob die kasachischen Lieferungen anhalten. Und die Eigentümerfrage ist weiter offen. Die deutsche Rosneft-Tochter liegt unter Treuhandverwaltung. Shell und Eni halten ebenfalls Anteile. Shell will sich schon lange zurückziehen, findet aber keinen Abnehmer. Dasselbe gilt für Rosneft. Keines der Unternehmen will noch in Schwedt investieren. Aus diesem Grund hatte Dietmar Woidke schon im Februar gemahnt, die Bundesregierung müsse handeln. Doch getan hat sich bis heute nichts.Dafür rollt nun Woidkes schwarze Limousine vor. Der SPD-Ministerpräsident im schwarzen, maßgeschneiderten Anzug, begrüßt die Bürgermeisterin, seine Parteigenossin, herzlich mit Umarmung. Und auch die Augenärztin der Stadt, Konstanze Fischer, die den Protest mitorganisiert. Sie tritt als Erste auf die Bühne.
Eines fordern hier in Schwedt fast alle, von der Bürgermeisterin bis zum BSW-Abgeordneten: zurück zu russischem Öl, Schluss mit den Sanktionen. Das hat Schwedt schon einiges an Ärger beschert. Mitten im Krieg will Schwedt das Embargo aufheben? Ausgerechnet im Osten! Typisch, sagen manche. Für den Grünen-Politiker Michael Kellner ist es Ausdruck einer „unseligen Geisteshaltung zu Russland“.
Konstanze Fischer auf der Bühne sieht das anders. Russland exportiere seit dem Krieg so viel Erdöl wie seit Jahren nicht mehr, ruft sie. Statt nach Deutschland gehe das Öl eben jetzt nach China, Indien oder in die Türkei. Und Europa kaufe Raffinerieprodukte aus eben jenen Ländern. „So kann man seine Industrie natürlich auch kaputt machen.“ Applaus. Raunen. Das Thema Krieg beschäftigt die Leute. Am meisten Beifall bekommt, wer mehr Diplomatie mit Russland fordert.
Das spürt auch Dietmar Woidke. Er hat zwar keine Neuigkeiten mitgebracht, dafür aber versöhnliche Worte. Von der neuen Bundesregierung fordert er, die Raffinerie, „das Herz der Uckermark“, am Leben zu erhalten. Vollumfänglich. Außerdem hoffe er, „dass die Bundesregierung klare diplomatische Initiativen“ für einen „gerechten Frieden in der Ukraine“ ergreife. Und dass man „spätestens dann auch wieder zu guten wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland“ finde. Das kommt an bei den Leuten hier.

Danach hören viele nicht mehr genau hin. Während Bürgermeisterin Hoppe spricht, der PCK-Chef, Wirtschaftsminister Keller, beginnen Gespräche im Publikum. Mittendrin: Luca Piwodda, 25, Bürgermeister von Gartz. Der jüngste Rathauschef von Brandenburg. In den vergangenen Monaten hat Piwodda einige Bekanntheit in den Medien erlangt, wegen seines erfrischenden Politikstils, seiner harschen Kritik an den Parteien im Bundestag. Auch Gartz hängt an PCK. Auch heute spart er nicht mit Kritik.
„Wer hierherkommt, muss wenigstens ein, zwei Neuigkeiten mitbringen“, sagt er. „Oder etwas, woran sich die Leute festhalten können. Nicht bloß das wiederholen, was eh schon alle denken.“ Vorn murmelt Wirtschaftsminister Keller ins Mikro. Seit drei Jahren herrsche diese Lage, fährt Piwodda fort. „Und es gibt noch immer keine Vision.“Zum Schluss gibt es noch einmal Applaus, dann leert sich der Platz der Befreiung rasch. Die Kundgebung endet, wie sie angefangen hat: ohne viel Aufsehen. Die Demo-Band trällert „Knockin’ on Heaven’s Door“, am Bierstand wird gelacht. Vielleicht ist dies der Grund für die seltsame müde Stimmung: Dass den Schwedtern schon vorher klar war, dass sich vorerst nichts ändern wird. Dass sie weiter in der Schwebe hängen müssen. Die einzige Erwartung, die heute erfüllt wurde.
Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! [email protected]
Berliner-zeitung